KI-Sichtbarkeit messen: Die Metriken, die dein Chef noch nicht kennt (du aber kennen musst)

Ich dachte, wir hätten alles im Griff. Unsere Rankings waren top, der Traffic stabil. Doch dann zeigte ein Kunde auf eine ChatGPT-Antwort über seine Branche und fragte: „Warum steht da unser Wettbewerber und nicht wir?“ In diesem Moment wurde mir klar: Wir haben jahrelang das Falsche gemessen. Unsere Dashboards waren voll mit Eitelkeitsmetriken aus einer Ära, die gerade vor unseren Augen zu Ende geht.

Wir optimierten für Klicks, während die Welt begann, in Antworten zu denken. Dieser Artikel ist das Ergebnis meiner Suche danach, wie man Erfolg in dieser neuen Realität misst. Es geht nicht mehr darum, ob jemand auf deinen Link klickt. Es geht darum, ob eine KI deiner Marke genug vertraut, um sie als Antwort zu zitieren. Ich zeige dir das Framework, die Tools und die KPIs, mit denen du deine Präsenz in KI-Systemen nicht nur messen, sondern auch beweisen kannst.

Die bittere Wahrheit: Warum deine SEO-Dashboards lügen

Die Veränderung ist nicht subtil, sie ist brutal. Die neuesten Daten zeichnen ein klares Bild: Das Zeitalter des Klicks geht zu Ende. Laut einer Studie von SparkToro werden bis Mitte 2025 fast 69 % aller Suchen als „Zero-Click Searches“ enden – der Nutzer erhält seine Antwort direkt von der Suchmaschine, ohne eine Website zu besuchen. Und Google selbst treibt das voran: Die Einführung von AI Overviews hat die Klickraten auf organische Links um fast 50 % reduziert.

Das bedeutet: Deine Impressionen in der Google Search Console steigen vielleicht, aber die Klicks brechen weg. Ich nenne das die „KI-Schere“. Du bist sichtbar, aber niemand kommt mehr an. Deine alten KPIs wie Click-Through-Rate oder organischer Traffic werden so zu unzuverlässigen Indikatoren für deinen wahren Markeneinfluss. Wenn du weiterhin nur auf diese Zahlen starrst, optimierst du dich in die Unsichtbarkeit.

Mein Framework: So misst du, was in der KI-Ära wirklich zählt

Um KI-Sichtbarkeit messbar zu machen, brauchen wir ein neues Modell. Ich habe aufgehört, nur auf Traffic zu schauen, und messe stattdessen zwei Dimensionen, die den gesamten Einfluss einer Marke abbilden:

  1. Traffic-Signale (Was noch klickt): Ja, es gibt immer noch Traffic aus KI-Systemen. Wir müssen nur lernen, ihn präzise zu isolieren und seine Qualität zu bewerten. Er ist der letzte Rest des alten Systems, aber immer noch ein valider Datenpunkt.

  2. Markenpräsenz & Autorität (Was wirklich zählt): Das ist die neue Währung. Hier messen wir, wie oft, in welchem Kontext und mit welcher Tonalität deine Marke in KI-Antworten erscheint. Dies ist der wahre Indikator für deine zukünftige Relevanz.

Lass uns beide Teile Schritt für Schritt durchgehen.

Teil 1: Die letzten Echos des Klicks – Traffic-Signale richtig deuten

Auch wenn der Gesamt-Traffic sinkt, ist der Traffic, der von KI-Plattformen kommt, extrem wertvoll. Das sind die Nutzer, die tiefer graben wollen und auf eine von der KI zitierte Quelle klicken. So findest und bewertest du ihn:

  1. Die „KI-Schere“ in der Google Search Console (GSC) identifizieren:
    Filtere in der GSC nach deinen wichtigsten informativen Suchanfragen. Siehst du einen Trend, bei dem die Impressionen stabil bleiben oder steigen, während die Klicks fallen? Das ist der erste Beweis für den Einfluss von AI Overviews auf deine Performance. Es ist das stärkste Argument, um deinem Team zu zeigen, dass sich etwas fundamental ändert.

  2. Traffic aus KI-Quellen in GA4 isolieren:
    Woher kommen die Klicks, die es noch zu dir schaffen? Mit einem einfachen RegEx-Filter in Google Analytics 4 kannst du den Traffic von den wichtigsten KI-Plattformen bündeln. Nutze dafür eine Filterregel bei der „Sitzungsquelle“ mit folgendem Regex: (perplexity|chat.openai.com|gemini.google.com|claude.ai|copilot.microsoft.com)
    Analysiere diesen Traffic: Wie hoch ist die Verweildauer? Wie ist die Conversion Rate? Oft wirst du feststellen, dass dieser Traffic hochwertiger ist, weil die Nutzer bereits durch die KI vorqualifiziert wurden.

Teil 2: Die Währung der Zukunft – Markenpräsenz und Autorität messen

Hier beginnt die eigentliche Arbeit – und hier liegt auch der größte Hebel. Wir verlassen die vertraute Welt der Web-Analytics und widmen uns der qualitativen und quantitativen Erfassung von Markenpräsenz. Das Ziel: die KI-Sichtbarkeit deiner Marke systematisch zu erfassen.

Die Grundlagen: Manuelles Tracking mit Prompt-Sets

Der einfachste Weg zu starten, ist die manuelle Abfrage. Der Begriff „Prompt-Sets“, wie ihn etwa planinja.de verwendet, bietet eine sehr gute Grundlage. Ich habe diesen Prozess für meine Projekte standardisiert:

  1. Definiere deine Kern-Entitäten: Was sind die 20 wichtigsten Konzepte, Produkte oder Probleme, für die deine Marke die Autorität sein will? Das sind nicht nur Keywords, sondern ganze Themenfelder.

  2. Erstelle ein Prompt-Set: Formuliere pro Entität 5-10 verschiedene Fragen aus Nutzersicht. Variiere zwischen offenen Fragen („Was sind die besten Lösungen für…“), vergleichenden Fragen („Vergleiche Anbieter A und B“) und problemorientierten Fragen („Wie löse ich Problem X?“).

  3. Dokumentiere systematisch: Lege eine einfache Tabelle an (z. B. in Google Sheets) mit den Spalten: Datum, KI-System (ChatGPT, Perplexity etc.), Prompt, Antwort, Erwähnung (Ja/Nein), Zitation/Quelle (Ja/Nein), Sentiment (Positiv/Neutral/Negativ).

  4. Wiederhole monatlich: Führe diesen Test jeden Monat durch. Nur so erkennst du Muster und kannst beurteilen, ob deine Maßnahmen zur Verbesserung der Entitäten-Architektur Früchte tragen.

Dieser manuelle Prozess ist aufschlussreich, aber er skaliert nicht. Für eine professionelle Analyse brauchen wir automatisierte Unterstützung.

Die Automatisierung: Tools, die dir die Arbeit abnehmen

Der Markt für AI-Visibility-Tools ist noch jung, aber es gibt bereits einige starke Anbieter, die dir die manuelle Arbeit abnehmen. Hier eine Übersicht der relevantesten Player:

  • Ahrefs: Der SEO-Gigant hat das Thema früh erkannt. Du kannst in den Einstellungen verfolgen, welche deiner Keywords AI Overviews (SGE) auslösen und ob deine Seite darin gefeatured wird. Ein guter Startpunkt, aber der Fokus liegt stark auf Google.

  • Otterly: Ein spezialisierter Anbieter, der sich voll auf die Messung von KI-Sichtbarkeit konzentriert. Otterly trackt deine Präsenz über verschiedene LLMs (ChatGPT, Gemini, Perplexity) hinweg und liefert detaillierte Analysen zu Erwähnungen und Quellen. Ideal für alle, die ein dediziertes Dashboard wollen.

  • Sistrix: Auch Sistrix hat SGE-Daten integriert. Du kannst sehen, wie stark deine Domain von AI Overviews betroffen ist und wo du als Quelle erscheinst. Wie bei Ahrefs liegt der Fokus klar auf dem Google-Ökosystem.

Meine Empfehlung: Starte manuell mit Prompt-Sets, um ein Gefühl für die Materie zu bekommen. Sobald du den Wert darin erkennst, evaluiere ein spezialisiertes Tool wie Otterly, um den Prozess zu skalieren und tiefere Einblicke zu gewinnen.

Der entscheidende Vorteil: Advanced KPIs, die deine Konkurrenz nicht kennt

Einfach nur zu zählen, ob du erwähnt wirst, ist zu kurz gedacht. Das ist so, als würde man im SEO nur auf Rankings schauen, ohne den Traffic zu beachten. Um den wahren Einfluss zu messen, solltest du vier fortgeschrittene Metriken tracken, die dir ein vielschichtiges Bild deiner Autorität geben:

  1. AI Citation Rate (ACR): Das ist die vielleicht wichtigste Metrik für Brand-Trust in KI-Systemen. Sie misst nicht nur, ob deine Marke erwähnt wird, sondern ob die KI deine Website explizit als Quelle für eine Behauptung zitiert. Eine hohe ACR ist der ultimative Beweis für deine Autorität. Eine Erwähnung ist gut, eine Zitation ist Gold.
    Berechnung: (Anzahl der Zitationen / Anzahl der relevanten Prompts) * 100

  2. Answer Inclusion Rate (AIR): Diese Kennzahl misst, in wie viel Prozent der relevanten Antworten deine Marke, dein Produkt oder dein Framework überhaupt vorkommt – egal ob als Zitat oder nur als Erwähnung. Sie ist der Index für deine reine Präsenz im relevanten Set der KI.
    Berechnung: (Anzahl der Erwähnungen / Anzahl der relevanten Prompts) * 100

  3. Sentiment of Mentions: Nicht jede Erwähnung ist gut. Wird deine Marke als Premium-Lösung genannt oder nur als eine von vielen Alternativen? Wird sie in einem positiven, problemlösenden Kontext erwähnt oder in einem negativen? Analysiere das Sentiment deiner Erwähnungen (Positiv, Neutral, Negativ), um die Qualität deiner Präsenz zu bewerten.

  4. Chunk Retrieval Frequency: Das ist eine Metrik für Fortgeschrittene. Sie analysiert, welche spezifischen Inhaltsblöcke („Chunks“) von deiner Website am häufigsten von der KI herangezogen werden, um Antworten zu generieren. Wenn du das weißt, weißt du exakt, welche deiner Inhalte für die Maschine am wertvollsten sind – und kannst mehr davon erstellen. Dies lässt sich oft nur über spezialisierte Tools oder Logfile-Analysen ermitteln.

Vom Datengrab zum Business Case: So baust du ein überzeugendes Reporting

Die besten Daten sind nutzlos, wenn du sie nicht kommunizieren kannst. Um die Investition in KI-Sichtbarkeit zu rechtfertigen, musst du die Ergebnisse in die Sprache des Managements übersetzen. Dein Reporting sollte nicht nur Zahlen zeigen, sondern eine Geschichte erzählen.

Struktur eines effektiven KI-Sichtbarkeits-Reports:

  1. Die Marktentwicklung (Das „Warum“): Beginne mit den harten Zahlen zum Wandel des Nutzerverhaltens (69 % Zero-Click, 50 % CTR-Drop). Schaffe Dringlichkeit und zeige, warum alte Reports nicht mehr ausreichen.

  2. Unsere Performance auf einen Blick (Das „Was“): Zeige auf einem Dashboard die Entwicklung deiner vier Advanced KPIs (ACR, AIR, Sentiment) im Zeitverlauf. Visualisiere den Fortschritt.

  3. Wettbewerbs-Benchmark (Der Kontext): Zeige, wie deine Answer Inclusion Rate im Vergleich zu deinen Top-3-Wettbewerbern aussieht. Das schafft Kontext und zeigt, wo ihr steht.

  4. Qualitative Beispiele (Der Beweis): Füge zwei bis drei Screenshots von besonders guten KI-Antworten hinzu, in denen deine Marke prominent und positiv als Autorität dargestellt wird.

  5. Maßnahmen & Ausblick (Das „Wie weiter“): Leite aus den Daten konkrete nächste Schritte ab. („Unsere ACR ist bei Thema X noch schwach. Nächsten Monat fokussieren wir uns darauf, dort die inhaltliche Tiefe zu erhöhen.“)

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Ist das manuelle Tracking nicht extrem zeitaufwendig?

Am Anfang ja. Aber der Aufwand lohnt sich, denn er zwingt dich, wie deine Kunden zu denken und die Qualität der KI-Antworten wirklich zu verstehen. Betrachte die ersten zwei bis drei Runden als strategische Analyse, nicht als reine Fleißarbeit. Danach solltest du auf ein Tool umsteigen.

Welches Tool zur Messung von KI-Sichtbarkeit ist das beste für mich?

Für den Einstieg: Beginne mit den SGE-Features von Ahrefs oder Sistrix, wenn du diese Tools bereits nutzt.
Für den Fokus: Wenn KI-Sichtbarkeit eine strategische Priorität ist, führt kaum ein Weg an einem Spezialisten wie Otterly vorbei, da er mehrere LLMs abdeckt.

Wie rechtfertige ich den Aufwand für diese neuen Metriken gegenüber der Geschäftsführung?

Indem du die Geschichte mit der „KI-Schere“ erzählst. Zeige die Diskrepanz zwischen steigenden Impressionen und fallenden Klicks in der GSC. Argumentiere, dass Markenpräsenz in KI-Antworten das neue „Ranking“ ist und die AI Citation Rate die neue „Conversion Rate“ für Autorität. Verknüpfe es direkt mit der Markenbekanntheit und dem langfristigen Schutz des Geschäftsmodells.

Was ist der Unterschied zwischen einer Erwähnung und einer Zitation in KI-Systemen?

Eine Erwähnung bedeutet, dass dein Markenname im Text der KI-Antwort auftaucht (z. B. „Unternehmen wie X, Y und Z bieten solche Lösungen an.“). Eine Zitation bedeutet, dass die KI deine Website explizit als klickbare Quelle für eine Information ausweist. Eine Zitation hat ein ungleich höheres Gewicht, da sie deine Inhalte als glaubwürdigen Beleg validiert.

Deine ersten drei Schritte

Die Messung von KI-Sichtbarkeit ist kein Sprint, sondern der Aufbau eines neuen Muskelgedächtnisses für dein Marketing.

  1. Akzeptiere die neue Realität: Öffne deine Google Search Console und suche nach der „KI-Schere“. Mach dir und deinem Team die Dringlichkeit des Themas bewusst.

  2. Erstelle dein erstes Prompt-Set: Definiere zehn deiner wichtigsten Themen und frage ChatGPT und Perplexity, was sie darüber wissen. Dokumentiere die Ergebnisse ungeschönt in einer Tabelle.

  3. Führe die AI Citation Rate (ACR) ein: Beginne damit, diese eine, entscheidende Metrik zu tracken. Sie ist der Kompass, der dir zeigt, ob du auf dem richtigen Weg bist, eine echte Autorität in der KI-Ära zu werden.

Hör auf, Klicks aus der Vergangenheit zu zählen. Fang an, die Autorität der Zukunft zu messen.