Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als wir für einen Kunden Top-3-Rankings für seine wichtigsten kommerziellen Begriffe erreicht hatten. Die Search Console zeigte steigende Impressionen, die Kurven schnellten in die Höhe. Aber der Traffic stagnierte. Schlimmer noch: Die Leads gingen zurück.
Wir saßen in einem Meeting und starrten auf Dashboards, die eine Erfolgsgeschichte erzählen sollten – doch die Realität sah anders aus. Das war mein erster Kontakt mit der „KI-Schere“: Die Sichtbarkeit in der Suche steigt, aber die Klicks, die beim Nutzer ankommen, bleiben aus.
Genau dieses Dilemma ist der Grund, warum die meisten Marketing-Reports heute an der Realität vorbeigehen. Wir optimieren auf Metriken aus einer Welt, die es so nicht mehr gibt. Eine Welt vor Google AI Overviews, vor Perplexity, vor ChatGPT. Eine Welt, in der ein Klick das Maß aller Dinge war.
Heute ist die wertvollste Interaktion oft eine, die gar nicht zu einem Klick führt: die Erwähnung deiner Marke in einer KI-generierten Antwort. Dieser „Zero-Click-Erfolg“ ist für deine Analytics unsichtbar, aber entscheidend für deine zukünftige Relevanz.
Wenn wir also über KI-Sichtbarkeit sprechen, müssen wir sie auch messen können. Denn was nicht gemessen wird, existiert nicht – erst recht nicht für Maschinen. Vergiss deine alten Dashboards. Hier zeige ich dir, wie du Relevanz im KI-Zeitalter wirklich misst, trackst und beweist.
Die neue Währung: Was wir ab heute messen müssen
Traditionelle SEO-KPIs wie Ranking-Positionen, Impressionen oder Klickraten verlieren in einer Welt der KI-generierten Antworten an Aussagekraft. Wenn ein Nutzer seine Antwort direkt in der Suche erhält, ohne deine Seite zu besuchen, erfasst Google Analytics das nicht. Dein Ranking auf Position 1 ist wertlos, wenn die KI dich nicht als Quelle zitiert. Wir brauchen eine neue Währung.
Von Erwähnungen zu Zitationen
Die einfachste Metrik ist die bloße Zählung, wie oft deine Marke oder deine Inhalte in KI-Antworten auftauchen. Wir müssen aber tiefer gehen und zwischen zwei Arten unterscheiden:
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Erwähnung (Mention): Deine Marke wird namentlich genannt. Beispiel: „Für hochwertige Kameras ist die Marke XYZ bekannt.“ Das ist gut für die Bekanntheit.
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Zitation (Citation): Deine Webseite wird als direkte Quelle für eine Information verlinkt. Beispiel: „Laut [deine-domain.de] hat die Kamera folgende Spezifikationen…“ Das ist die Königsklasse. Es ist ein direkter Vertrauensbeweis der Maschine und positioniert dich als Autorität.
Eine Studie von Yext untermauert das: 86 % aller Quellen, die KI-Systeme nutzen, stammen aus Inhalten, die Marken selbst kontrollieren. Deine eigene Website ist dein wichtigster Hebel.
AI Share of Voice (AI SoV)
Der Share of Voice misst deinen prozentualen Anteil an der Gesamtdiskussion in einem Themengebiet. Der AI SoV überträgt dieses Prinzip auf KI-Antworten.
So wird’s gemacht: Definiere ein Set von 50–100 relevanten Prompts für deine Branche (z. B. „Welches ist das beste CRM für KMUs?“). Frage verschiedene KIs (ChatGPT, Perplexity, Google AIO) und zähle, wie oft du im Vergleich zu deinen Wettbewerbern genannt oder zitiert wirst.
Nutzen: Du siehst nicht nur, ob du sichtbar bist, sondern wie sichtbar du im direkten Marktumfeld bist. Eine Steigerung deines AI SoV ist ein klares Signal für wachsende thematische Autorität.
Positionsanalyse & Sentiment
Es reicht nicht, nur erwähnt zu werden. Die Position und der Kontext sind entscheidend.
Positionsanalyse: Wirst du an erster oder an letzter Stelle in einer Aufzählung genannt? Die erste Nennung hat den größten Einfluss auf die Wahrnehmung des Nutzers.
Sentiment Score: In welchem Tonfall wird über dich gesprochen? Ist die Erwähnung positiv, neutral oder negativ? Eine negative Erwähnung ist ein Reputationsrisiko, das sofortiges Handeln erfordert. Die meisten Tools ignorieren diese qualitative Ebene völlig.
Diese neuen Metriken bilden die Grundlage für ein Dashboard, das die Realität abbildet. Sie verlagern den Fokus von reiner Sichtbarkeit auf echten Einfluss. Es geht nicht mehr darum, ob Google dich kennt, sondern darum, ob KI-Systeme dir vertrauen.
Das Toolkit des Strategen: Wie du KI-Sichtbarkeit trackst
Die Frage ist nun: Wie erhebst du diese Daten systematisch? Ich sehe hier einen dreistufigen Ansatz, von manuellen Audits bis hin zu vollautomatisierten Systemen. Jeder Schritt baut auf dem vorherigen auf und erhöht die Professionalität deines Trackings.
Stufe 1: Der manuelle Audit mit Prompt-Sets (Die kostenlose Methode)
Das ist der einfachste Startpunkt, um ein Gefühl für deine Sichtbarkeit zu bekommen. Du brauchst dafür nur eine simple Tabelle und Zeit.
Das Framework: Erstelle ein „Prompt-Set“ mit 50–100 Fragen, die deine Zielkunden stellen würden. Mische dabei verschiedene Intents:
- Informationelle Prompts: „Wie funktioniert eine Wärmepumpe?“
- Kommerzielle Prompts: „Beste Wärmepumpen-Hersteller 2024“
- Vergleichende Prompts: „Viessmann vs. Buderus Wärmepumpe“
Die Umsetzung: Gib dieses Prompt-Set monatlich bei den für dich relevanten KIs (z. B. Google, ChatGPT-4, Perplexity) ein und dokumentiere die Ergebnisse. Notiere, wer erwähnt wird, wer zitiert wird und an welcher Position.
Vorteil: Du bekommst ein tiefes, qualitatives Verständnis dafür, wie KIs über deinen Markt „denken“. Du siehst direkt, welche Wettbewerber als Autoritäten wahrgenommen werden.
Nachteil: Es ist zeitaufwendig, nicht skalierbar und die Ergebnisse können je nach Abfragezeitpunkt variieren.
Stufe 2: Automatisierte Tracking-Tools (Die skalierbare Methode)
Sobald du den Wert manueller Checks erkannt hast, ist der nächste logische Schritt die Automatisierung. Der Markt für AI-Tracking-Tools explodiert gerade, und einige Pioniere liefern bereits wertvolle Daten.
Die Player: Tools wie Sistrix, ahrefs, Semrush oder spezialisierte Anbieter wie Otterly oder Authoritas bauen Funktionen auf, um Erwähnungen in KI-Antworten automatisiert zu überwachen. Sie fragen im Hintergrund tausende Prompts ab und aggregieren die Daten.
Der Nutzen: Du bekommst quantitative Daten über die Zeit. Du kannst deinen AI Share of Voice wöchentlich tracken, neue Wettbewerber identifizieren und sehen, welche deiner Inhalte als Quellen genutzt werden. Das ist die Grundlage für professionelles Reporting.
Worauf du achten solltest:
- Plattform-Abdeckung: Welche KIs trackt das Tool? Nur Google AIO oder auch ChatGPT und Perplexity? Multi-Plattform-Tracking ist unerlässlich, denn wie die Online Solutions Group in einer Analyse zeigte, geben verschiedene KIs oft völlig unterschiedliche Antworten.
- Daten-Tiefe: Misst das Tool nur Erwähnungen oder auch Zitationen und deren Position?
- Prompt-Management: Kannst du eigene, für dein Geschäft kritische Prompts hinterlegen und tracken?
Stufe 3: Die integrierte Systemarchitektur (Die strategische Methode)
Tools sind nur die halbe Miete. Echte Dominanz entsteht, wenn du die Daten aus dem AI-Tracking mit den Daten über deine eigene semantische Architektur verbindest.
Das Prinzip: Hier geht es nicht mehr nur ums Beobachten, sondern ums gezielte Steuern. Du weißt nicht nur, dass du erwähnt wirst, sondern auch, warum. Du siehst, dass eine bestimmte Zitation auf der sauberen Strukturierung deiner Entitäten auf Seite X beruht.
Die Umsetzung: Anstatt dich nur auf ein externes Tool zu verlassen, baust du ein internes System, das Daten aus AI-Trackern, der Search Console und deinem eigenen Knowledge Graph verbindet. Du optimierst nicht mehr einzelne Seiten für Keywords, sondern ganze Themencluster für maschinelles Verständnis.
Der Nutzen: Du gehst von einer reaktiven zu einer proaktiven Strategie über. Du baust deine Inhalte von vornherein so, dass sie für KI als Gatekeeper die perfekte, vertrauenswürdige Quelle darstellen. Das ist der Übergang vom Marketing zum Systembau.
Von Daten zur Dominanz: Das „Beweisen“-Framework
Die besten Metriken und Tools sind nutzlos, wenn du die Erkenntnisse nicht in Handlungen übersetzt und ihren Wert nicht beweisen kannst. Hier liegt die größte Lücke, die fast alle Anbieter am Markt offenlassen. Sie zeigen dir, wie man misst, aber nicht, was du mit den Zahlen anfangen sollst. Mein „Beweisen“-Framework schließt diese Lücke.
Schritt 1: Das AI-Readiness-Audit
Analysiere deine wichtigsten Inhalte: Sind sie maschinenlesbar? Nutzt du strukturierte Daten (Schema.org), um Kernaussagen, Autoren und Fakten eindeutig zu kennzeichnen? Ohne diese technische Grundlage bist du für eine KI nur eine schwer zu interpretierende Textwüste.
Schritt 2: Die Zitationsstrategie
Identifiziere die Top-10-Quellen, die von KIs in deinem Themenfeld am häufigsten zitiert werden. Das sind oft große Magazine, Wikipedia oder Branchenportale. Entwickle eine Strategie, wie deine Marke, deine Daten und deine Experten in diesen hochautoritativen Quellen als Referenz platziert werden können.
Schritt 3: Den „Zero-Click-ROI“ berechnen
Das ist der entscheidende Punkt, um das Management zu überzeugen. Ein Zero-Click-Erfolg ist nicht wertlos, er hat einen quantifizierbaren Wert. Hier ein einfaches Modell:
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Reichweite schätzen: Wie viele Nutzer sehen die KI-Antwort pro Monat? (Nutze das Suchvolumen des zugrundeliegenden Keywords als Annäherung).
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Wert einer Impression definieren: Was würdest du für eine qualitativ gleichwertige Impression in einem Fachmedium oder einer Display-Anzeige bezahlen (CPM)?
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Sentiment-Faktor anwenden: Multipliziere den Wert. Eine positive Erwähnung erhält den Faktor 1,2, eine neutrale 1,0 und eine negative den Faktor 0.
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ROI berechnen: (Geschätzte Reichweite / 1000 * CPM * Sentiment-Faktor) = Medialer Wert deiner Erwähnung.
Plötzlich wird aus einer unsichtbaren Erwähnung ein klar bezifferbarer Wert in deinem Marketing-Report.
Schritt 4: Das Stakeholder-Dashboard
Fasse die neuen KPIs – AI SoV, Zitationsrate, Sentiment Score und den Zero-Click-ROI – in einem übersichtlichen Dashboard zusammen. Visualisiere die Entwicklung im Zeitverlauf. So machst du den Erfolg deiner Arbeit sichtbar und beweist, dass du die Mechanismen der neuen Empfehlungsökonomie nicht nur verstehst, sondern meisterst.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Ist AI Share of Voice nicht einfach dasselbe wie traditioneller Share of Voice?
Nein. Der traditionelle SoV basiert oft auf Rankings und bezahlter Sichtbarkeit in den Top 10 der Suchergebnisse. Der AI SoV misst deine Präsenz in der kuratierten, zusammenfassten Antwort einer Maschine. Er ist ein viel stärkerer Indikator für Vertrauen und Autorität als für reines Budget oder technisches SEO.
Wie kann ich den ROI einer Zero-Click-Erwähnung wirklich beweisen?
Der oben beschriebene „mediale Wert“ ist ein erster, starker Schritt. Er übersetzt eine abstrakte Erwähnung in einen konkreten Euro-Betrag, den du für eine vergleichbare Platzierung in klassischen Medien hättest zahlen müssen. Langfristig beweist sich der ROI durch Korrelationen: Wenn dein AI SoV steigt, werden auch nachgelagerte Metriken wie Direct Traffic und Marken-Suchanfragen zunehmen.
Welches Tool ist das beste für den Anfang?
Beginne immer mit der manuellen Methode der Prompt-Sets. Sie ist kostenlos und schärft dein strategisches Verständnis ungemein. Wenn du für den nächsten Schritt bereit bist, evaluiere die großen Suiten wie Sistrix oder ahrefs, da sie AI-Daten zunehmend in ihre bestehenden Toolsets integrieren und so eine ganzheitliche Sicht ermöglichen.
Wie oft sollte ich meine KI-Sichtbarkeit messen?
Für manuelle Audits reicht ein monatlicher Rhythmus. Sobald du automatisierte Tools nutzt, solltest du wöchentlich einen Blick auf die Daten werfen, um schnell auf Veränderungen im Markt oder negative Erwähnungen reagieren zu können.
Was gemessen wird, wird optimiert
Wir stehen am Anfang einer neuen Zeitrechnung. Die alten Regeln der Sichtbarkeit gelten nicht mehr. Wer sich weiterhin an Rankings und Klickraten klammert, optimiert für die Vergangenheit. Die Zukunft gehört denen, die verstehen, dass Vertrauen die neue Währung ist und dass eine Zitation in einer KI-Antwort mehr wert sein kann als tausend Klicks.
Die hier vorgestellten Metriken und Frameworks sind keine theoretischen Gedankenspiele. Sie sind das Ergebnis aus zahllosen Projekten, in denen wir gezwungen waren, neue Wege zu finden, um Erfolg messbar zu machen. Es geht nicht darum, einem neuen Trend hinterherzulaufen. Es geht darum, dein Geschäftsmodell auf die Logik von Empfehlungsmaschinen auszurichten.
Beginne noch heute damit, das zu messen, was wirklich zählt. Denn nur so kannst du es systematisch steuern und am Ende auch beweisen.
