Ich erinnere mich noch gut an das Meeting vor ein paar Jahren. Ein Kunde präsentierte stolz eine Excel-Tabelle mit über 50 ‚LSI-Keywords‘ für seine wichtigste Landingpage. Stundenlang hatte er mit diversen Tools semantisch verwandte Begriffe zu seinem Hauptkeyword zusammengetragen. Seine Logik klang bestechend einfach: ‚Wenn ich Google all diese thematisch passenden Wörter gebe, muss die Seite ja als super relevant eingestuft werden.‘
Er hatte alles richtig gemacht – nach der alten SEO-Lehre. Trotzdem stagnierte sein Ranking. Der Grund? Seine ganze Mühe basierte auf einem der hartnäckigsten Mythen im Online-Marketing: dem Glauben an Latent Semantic Indexing (LSI) als Ranking-Faktor.
Heute kann ich dir sagen: KI-Systeme wie Google oder ChatGPT interessieren sich nicht für deine Wortlisten. Haben sie auch noch nie. Sie suchen nach etwas viel Tieferem, etwas Strukturiellerem – sie suchen nach Bedeutung. Und wenn du das nicht verstehst, optimierst du für eine Maschine, die es seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gibt.
DAS GROSSE MISSVERSTÄNDNIS: WAS LSI WIRKLICH WAR (UND WARUM ES FÜR SEO NIE RELEVANT WAR)
Die Idee hinter LSI-Keywords klingt erst einmal plausibel: Um den Kontext einer Seite zu verstehen, sucht Google nach Wörtern, die häufig zusammen mit deinem Hauptkeyword vorkommen. Für das Keyword ‚Auto‘ wären das also Begriffe wie ‚Reifen‘, ‚Motor‘, ‚fahren‘ oder ‚Hersteller‘. Klingt logisch, oder?
Doch die Theorie hat einen entscheidenden Haken. Das ursprüngliche Patent für Latent Semantic Indexing stammt aus dem Jahr 1988. Es wurde entwickelt, um kleine, statische Datensätze wissenschaftlicher Dokumente zu analysieren. Wir reden hier von einer Zeit, in der das Internet noch ein akademisches Projekt war. Die Idee, diese Technologie auf das riesige, chaotische und sich sekündlich ändernde World Wide Web anzuwenden, ist schlichtweg absurd. Google selbst hat mehrfach bestätigt, LSI nicht zu verwenden.
Die Annahme, dass eine simple Liste verwandter Wörter einer KI die tiefere Bedeutung eines Themas vermitteln könnte, ist ein Relikt aus der Keyword-Stuffing-Ära. Moderne Systeme sind unendlich viel weiter. Sie denken nicht in Wortketten, sondern in Konzepten und Beziehungen.
VON WÖRTERN ZU KONZEPTEN: DER WECHSEL ZU ENTITÄTEN
Stell dir vor, du erklärst einem Kind einen Elefanten. Würdest du ihm eine Liste von Wörtern vorlesen? ‚Rüssel, Stoßzähne, groß, grau, Afrika, Zoo‘? Wahrscheinlich nicht. Du würdest ihm den Elefanten als Ganzes beschreiben: ‚Ein Elefant ist ein großes, graues Tier, das in Afrika und Asien lebt. Er hat einen langen Rüssel, mit dem er greifen und trinken kann, und manchmal große Stoßzähne aus Elfenbein.‘
Genau das ist der Unterschied zwischen dem alten Keyword-Denken und dem modernen Entitäten-Modell. Du beschreibst kein Wort, sondern ein ‚Ding‘ – eine Entität – mit all seinen Eigenschaften und Beziehungen.
Eine Entität ist ein eindeutig identifizierbares Konzept, eine Person, ein Ort, ein Produkt oder eine Idee. Der ‚Eiffelturm‘ ist eine Entität. ‚Angela Merkel‘ ist eine Entität. Deine Marke ist (hoffentlich) eine Entität.
Und jede Entität hat Attribute. Das sind die Eigenschaften, die sie definieren.
Entität: Eiffelturm
Attribute: Standort (Paris), Höhe (330 Meter), Architekt (Gustave Eiffel), Baumaterial (Eisen), Eröffnungsjahr (1889).
Moderne KIs wie Google oder Perplexity suchen nicht nach dem Wort ‚Eiffelturm‘ und einer Liste von ‚LSI-Keywords‘. Sie suchen nach Inhalten, die die Entität ‚Eiffelturm‘ mit ihren Attributen möglichst vollständig und korrekt beschreiben. Sie versuchen zu verstehen, nicht nur Wörter zu zählen.
Dieser Wandel von der Zeichenkette (‚String‘) zum Konzept (‚Thing‘) ist die Grundlage für alles, was heute unter moderner KI-Visibility zu verstehen ist. Google hat diesen Weg schon vor Jahren mit dem Knowledge Graph eingeschlagen. Sprachmodelle wie ChatGPT sind die logische Konsequenz: Sie funktionieren nur, weil sie die Beziehungen zwischen Entitäten verstehen.
WIE DU AUFHÖRST, IN KEYWORDS ZU DENKEN (UND ANFÄNGST, WIE EINE KI ZU SEHEN)
Okay, die Theorie ist klar. Aber wie findest und nutzt du diese Attribute in der Praxis? Die gute Nachricht: Es ist einfacher, als du denkst, und du brauchst dafür keine teuren Tools. Du musst nur deine Perspektive ändern.
Schritt 1: Definiere deine zentrale Entität
Worüber schreibst du wirklich? Geht es um das Keyword ‚Immobilienkredit‘ oder um die Entität ‚Immobilienkredit‘, ein Finanzprodukt mit spezifischen Merkmalen? Konzentriere dich auf das ‚Ding‘, nicht auf das Wort.
Schritt 2: Recherchiere die definierenden Attribute
Vergiss Keyword-Tools. Nutze stattdessen Quellen, die Wissen strukturieren:
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Wikipedia: Schau dir die Infobox auf der rechten Seite eines Wikipedia-Artikels an. Sie ist eine Goldgrube für die wichtigsten Attribute einer Entität und zeigt dir, welche Eigenschaften eine KI als definierend erachtet.
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Googles Knowledge Panel: Suche nach deiner Entität. Die Box, die Google anzeigt, listet die Kernattribute auf, die Google als gesichert betrachtet.
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Frag eine KI: Gib bei ChatGPT, Gemini oder Perplexity eine einfache Anweisung ein: ‚Liste die wichtigsten Eigenschaften und Merkmale der Entität [dein Thema] auf.‘ Du wirst eine strukturierte Liste von Attributen erhalten, die weit über jede Keyword-Liste hinausgeht.
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‚People Also Ask‘-Boxen: Diese Fragen in den Google-Suchergebnissen sind direkte Einblicke in die Wissenslücken, die Nutzer (und damit auch Google) zu einer Entität haben. Jede Frage zielt auf ein spezifisches Attribut ab.
Schritt 3: Baue deinen Content um Attribute herum
Jetzt kommt der wichtigste Teil: Integriere diese Attribute nicht als lieblose Wortliste in deinen Text. Nutze sie, um deinen Inhalt zu strukturieren und die Entität umfassend zu erklären.
Anstatt einen Text mit dem Keyword ‚Laufschuh‘ und ‚LSI-Keywords‘ wie ‚Joggen‘, ‚Sport‘, ‚Sohle‘ und ‚Dämpfung‘ zu füllen, baust du ihn so auf:
- H2: Aus welchen Materialien besteht ein moderner Laufschuh? (Attribut: Material)
- H2: Welche Dämpfungstechnologien gibt es? (Attribut: Dämpfung)
- H2: Für welche Läufertypen eignet sich dieses Modell? (Attribut: Zielgruppe)
- H2: Was ist das Gewicht und die Sprengung des Schuhs? (Attribute: Gewicht, Sprengung)
Du siehst den Unterschied? Du füllst keine Wortwolke, sondern baust Wissen auf. Du beantwortest die Fragen, die eine Entität vollständig beschreiben. Damit lieferst du einer KI genau das Futter, das sie braucht, um deinen Inhalt als höchst relevant und kompetent einzustufen. Das ist die Grundlage für eine semantische Architektur, die Maschinen verstehen.
FAQ: HÄUFIGE FRAGEN ZUM ABSCHIED VON LSI-KEYWORDS
Sind Keywords jetzt komplett tot?
Nein, aber ihre Rolle hat sich dramatisch verändert. Das Hauptkeyword dient immer noch als thematischer Anker und zur Orientierung für den Nutzer. Doch die Optimierung für eine breite Masse an Neben-Keywords ist einem tieferen, strukturierten Verständnis der zugrundeliegenden Entität gewichen.
Wie unterscheidet sich dieser Ansatz von WDF*IDF?
WDF*IDF ist eine mathematische Formel, die die Relevanz von Wörtern in einem Dokument im Verhältnis zu einer Sammlung anderer Dokumente misst. Es bleibt also ein rein textstatistischer Ansatz. Das Entitäten-Modell hingegen basiert auf einem Wissensgraphen – es geht um Fakten, Eigenschaften und Beziehungen, nicht um die Häufigkeit von Wörtern.
Gibt es Tools, die mir bei der Recherche von Attributen helfen?
Ja, es gibt spezialisierte Tools, die auf Knowledge-Graph-Daten zugreifen. Für den Anfang reichen die oben genannten Methoden (Wikipedia, Google, KI-Chats) aber völlig aus. Das wichtigste Tool ist dein eigenes Umdenken: von der Wortliste zur Wissensstruktur.
Muss ich jetzt ein Datenwissenschaftler sein, um Content zu erstellen?
Ganz im Gegenteil. Du musst wieder zum Experten werden. Anstatt zu versuchen, einen Algorithmus auszutricksen, geht es darum, dein Thema so klar, umfassend und gut strukturiert wie möglich zu erklären. Du musst deine Expertise so aufbereiten, dass sie nicht nur für Menschen, sondern auch für Maschinen verständlich ist.
FAZIT: HÖR AUF, WORTLISTEN ZU FÜLLEN
Der Mythos der LSI-Keywords ist ein bequemes, aber gefährliches Überbleibsel aus einer vergangenen SEO-Zeit. Wer heute noch Zeit und Geld in die Optimierung von Wortlisten investiert, kämpft einen Kampf, der längst entschieden ist.
Die Zukunft der Sichtbarkeit gehört nicht denjenigen, die die meisten Keywords unterbringen, sondern denen, die ihre Themen, Produkte und Marken als klare Entitäten mit eindeutigen Attributen definieren. Hör auf, in Listen zu denken. Fang an, in Strukturen zu denken. Erkläre dein Thema so, als würdest du es einer extrem intelligenten, aber völlig ahnungslosen Maschine beibringen. Denn genau das ist dein Job als Marketer im Zeitalter der KI.
